Vom hochehrwürdigen Haupte des Kaisers
Objektbeschreibung
Technische Daten:
Datierung: 1888
Material: Haar, Papier, Wachs, papierbezogene Holzkassette, blaue Seide
Maße: 33,5cm x 28cm
An einem ruhigen Dienstagabend, unscheinbar verpackt in einer dunklen, leicht ramponierten Schatulle, fand ein ganz besonderes Objekt seinen Weg in das LWL-Preußenmuseum. Öffnet man diese Schatulle, blickt man direkt in die Augen Kaiser Wilhelms I., dessen Foto neben einer Art Urkunde eingesteppt in blauen, glänzenden Stoff perfekt in Szene gesetzt wird. Erst auf dem zweiten Blick erkennt man ein interessantes Detail, eine Haarlocke des Kaisers.
Der Urkunde ist zu entnehmen, dass diese Locke am 22. März 1888 als Geschenk des Garderobiers Wilhelms I., Hermann Eschbach, an eine große Verehrerin des Kaisers ging, Luise Heinrich. Zwei Jahre nach der Schenkung wurde die Authentizität der Locke durch den Justizrat und Notar Gustav Otto Poppe offiziell beglaubigt. Ein im ersten Augenblick unscheinbarer Gegenstand wird durch den Bezug zu einer herausragenden Persönlichkeit – hier Kaiser Wilhelm I. – zu einem Objekt von besonderem Wert und Interesse.
Als Art Reliquie Wilhelms I. bekommt es so eine beinahe religiös konnotierte Beinote. Reliquien finden sich nämlich besonders im religiösen Kontext des Mittelalters. Sterblichen Überresten von Heiligen, aber auch Gegenstände, mit denen die Heiligen in den Kontakt traten, wurde Verehrung entgegengebracht. Sie sollen sogar Wunder vollbringen können. Durch die Reformatoren im 16. Jahrhundert wurde dieser Reliquienkult zunehmend hinterfragt, Reliquien entfernt und teilweise sogar zerstört.
Dennoch ist nicht außer Acht zu lassen, dass Reliquien oder eben (sterbliche) Überreste, die eine gewisse Nähe zu einer angebeteten oder bewunderten Person erzeugen, nicht bloß eine religiöse Erscheinung waren. Auch Herrscher wurden bewundert und verehrt, was den Wunsch mancher Menschen aufkommen ließ einen Teil dieser Person zu besitzen. Die Hoffnung durch ihn eine neue Ära einzuleiten sowie eine gute öffentliche Präsenz und Prominenz als erster Deutscher Kaiser machten Wilhelm I. zu einer Ikone seiner Zeit und eine Locke von ihm sehr begehrt.
// Text: Marie Brune, Dezember 2024
Literatur:
- Fischer, Robert-Tarek: Wilhelm I. Vom preußischen König zum ersten Deutschen Kaiser. Böhlau, Köln 2020.
- Hoheisel, Karl: „Reliquien“ in Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe Band IV. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1998. S. 434–439.
- Klie, Thomas; Kühn, Jakob (Hrsg.): Die Dinge, die bleiben: Reliquien im interdisziplinären Diskurs. Transcript Verlag, Bielefeld 2020.
- Kohl, Karl-Heinz: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. C. H. Beck, München 2003.
- Markert, Jan: Der verkannte Monarch. Wilhelm I. und die Herausforderungen wissenschaftlicher Biographik. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Neue Folge 31 (2021), S. 231–244.
Schon gewusst?
Auch heute lassen sich solche Strukturen neben der religiös geprägten Anbetung besonders in der Popkultur erkennen, wo Fans von ihren Idolen Gegenstände und Autogramme besitzen möchten, um diesen möglichst nahe zu kommen. Denke Sie an Konzerte, an denen sich Fans um Drumsticks und Plektren streiten, aber beispielsweise auch an Kleidung herausragender Persönlichkeiten, wie das kristallbesetzte Seidenkleid Marilyn Monroes, welches vor Jahren für mehrere Million Dollar versteigert wurde.